Den Katalog zur Ausstellung können Sie hier als PDF-Dokument downloaden. Der Künstler Alois Öllinger ist einem breiteren Publikum vor allem durch seine Aktionen im öffentlichen Raum bekannt geworden: Sei es durch das Projekt „Zeit-Raum-Spuren“, das er zuerst in einer Gemeinschaftsausstellung ostbayerischer Künstler in Prag zeigte: Es besteht aus einer n, die zuerst in Furth im Wald eine Wasserkuppel über dem Grenzbach spritzten, in der die Abendsonne einen Regenbogen erzeugte. Sei es durch seine „Berührsteine“, die vom Künstler nur an einer einzigen Stelle poliert wurden, so als ob sie, durch häufige Berührung geglättet, schon lange Objekt kultischer Verehrung wären. Sei es durch sein fotographisches „Bühnenhalterprojekt“, bei dem er Künstler und Ausstellungsmacher mit einem Bühnenmodell aus seiner Werkstatt fotografierte. Sei es durch die Setzung von Schalen an den verschiedensten öffentlichen Orten, z.B. der Kathedrale von Chartres. Betritt man das Foyer des Cordonhauses, geht vorbei an einer Reihe von unscharfen Schattenzeichen auf gespachteltem, grauen Kartongrund, fällt der Blick auf einen rotlackierten, hoch an der Wand installierten, stuhlartigen Landeplatz für den Geist, den Geist des Künstlers Öllinger, der sich im rechten Raum des Cordonhauses in vielen roten Bildern entfaltet. Das durchgängige Rot der Bildgründe, wie auch Öllingers Spachteltechnik, erinnern mich an die Wandmalereien der Villa Dei Misteri in Pompeji. Rätselhaft auch die Kombination der Gegenstände auf den Bildern dieses im Cordonhaus implantierten Pompejianischen Saals: Um nicht zu sagen obsessiv, die auch im anderen Raum des Cordonhauses immer wiederkehrenden Motive der Schalen, Kinderstühle, Gerüste, Stoffbündel, Tische, Halterungen, Brote usw. Mit ihnen inszeniert Öllinger sein absurdes Theater auf Bühenbildern oder Bilderbühnen, gespickt mit Querverweisen. Er erzeugt eine Dingmagie, wie sie auch den Stillleben Carras und Morandis, den dythyrambischen Bildern von Markus Lüpertz oder den fetischisierten Objekten Klaphecks eignet. Keine schwarze Magie, keine weiße Magie, sondern rote Magie, wie auf dem Bild aus dem Jahr 2004 mit dem Titel „Gerüst“, das auch auf der Einladung und dem Plakat der Ausstellung abgedruckt ist: Vor einem roten Fond schwebt, in leicht umgekehrter Perspektive widergegeben, ein Bretterstapel. Er liegt auf einer elliptischen Halterung auf, die, von den Bildkanten beschnitten, eher zeichenhaft wie eine Klammer, denn körperhaft wie der holzfarben gemalte Bretterstapel wirkt. Der rote Bildgrund ist wohl eher, obwohl flächig erscheinend, als abstrakter, unbegrenzter Raum vorgestellt, imaginär, a priori, ohne weitere Konkretionen, wie der mittelalterliche Goldgrund. Wie zuerst im Kubismus, später im Suprematismus der roten, russischen Revolution begegnen sich in diesem Bild, wie in vielen anderen Bildern Öllingers, realitätsnahe und realitätsferne Bildelemente, wird die Zentralperspektive durch mehrdeutige, disparate Blickpunkte ersetzt. Öllingers Bild hat eine frappierende Ähnlichkeit mit einem bemalten Porzellanteller des russischen Revolutionskünstlers Suetin von 1930: Im roten Rund des Tellerbodens schwebt das Schrägbild einer abstrakten suprematistischen Architekturphantasie. Kunst kommt also doch von Kunst, denke ich und finde gleich weitere Beispiele für die Nähe Öllingers zu dieser, sehr bald vom sozialistischen Realismus abgelösten Epoche: In den tagebuchartigen, kleinen, zeichenhaft bemalten Kartons im zweiten Raum des Cordonhauses. Präsentiert wie eine säkulare Ikonostase, erinnern manche der schnell notierten Chiffren in ihrer Absolutheit an Malevichs abstrakte Ikonen aus orthodoxen Kreuzen, Quadraten und Ovalen. Wie überhaupt Öllinger, darin den Ikonenmalern verwandt, in vielen Bildern archaische, aperspektivische oder multivperspektivische Raumdarstellungen bevorzugt, bis hin zur umgekehrten Perspektive, die nicht in die Tiefe des Raums sondern zum Betrachter hin fluchtet. Öllinger malt schnell, oft nass in nass, nicht bedächtig und andächtig, wie etwa Ivan Rubljov, dem Tarkowsky im gleichamigen Film ein wunderbares Denkmal setzte. Manchmal durchbricht Öllingers hintersinniger, skurriler Humor den heiligen Ernst der Bildfolgen, wie etwa in dem Bild „Zwerg vor Rot“. Öllingers Palette ist nicht bunt: neben rot, schwarz, grau dominieren vor allem erdige, schlammige Töne, deren streifige Faktur den Entstehungsprozess nicht zugunsten einer makellosen Oberfläche verleugnet. Die hierarchische, oft zentrierte Heraldik der Bildgründe Öllingers hat nicht nur östliche Wurzeln, auch Barnett Newman und Jean Scully wird Referenz erwiesen. Sehen bedeutet für Alois Öllinger Erkennen: Das heißt, das Bild ist nicht die unreflektierte Wiedergabe eines Realitätsausschnitts. Als Geschaffenes, generiert es eine eigenwillige, Parallel – oder Gegenwelt, einen Kosmos, der eigenen Gesetzen gehorcht. Die Eigengesetzlichkeit des Bildes setzt die äußere Realität, setzt Schwerkraft, Begehbarkeit des Raums, logische Lichtführung, folgerichtigen Schattenwurf und Lokalfarbigkeit außer Kraft. Auf seine besondere Weise beteiligt sich Alois Öllinger mit seinem breit gefächerten Werk am unabschließbaren Diskurs über den Sinn der Kunst und den Auftrag des Künstlers, über Wirklichkeit und Abbild und über das Wesen jener Wahrheit, von der Nietzsche sagte: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.“ Toni Scheubeck |